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Zehn gesetzliche Barriere­­­freiheits­­anforderungen für E‑Books

Eigentlich hatte ich gar nicht vor, gleich wieder einen Artikel zu schreiben. Aber nachdem ich mir heute mal die Verordnung über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen nach dem Barriefreiheitsgesetz (BFSGV) durchgelesen hatte, glaube ich, dass das Thema einer Diskussion bedarf. Sicher stellt sich die Frage, was mich eigentlich zur Beschäftigung mit einem juristischen Thema qualifiziert? Ein Semester Urheber- und Medienrecht und eine Vorliebe für kryptische Abkürzungen sind sicher nicht ausreichend. Daher möchte ich auch keinen Gesetzeskommentar schreiben, sondern versuche mich allein mit den technischen Anforderungen in Bezug auf E-Books zu beschäftigen. Wer in Eile ist, kann auch gleich den folgenden Abschnitt überspringen.

Um was geht es hier eigentlich? Mit dem Beschluss des European Accessibility Act (EAA) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 verpflichteten sich die EU-Mitgliedsstaaten für die gesetzliche Umsetzung von Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen. Der Deutsche Bundestag verfasste dann am 22. Juli 2021 den Beschluss des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), dessen Regelungen für Produkte und Dienstleistungen für Verbraucher:innen gilt, die nach dem 28. Juni 2025 erbracht werden. Bei den Dienstleistungen sind auch einige für Verlage und Verlagsdienstleister nicht ganz unwichtige zu nennen: Webseiten, mobile Apps und E-Books müssen ab diesem Datum barrierefrei sein.

Detaillierte Anforderungen sah das Gesetz noch nicht vor, ermächtigte aber in §3 Absatz 2 das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit weiteren Ministerien eine genauere Richtlinie zu erarbeiten. Am 15. Juni 2022 wurde dann schließlich die eingangs erwähnte BFSGV veröffentlicht und beschreibt neben vielem anderen in §18 sogenannte Zusätzliche Anforderungen für E-Books, auf die ich im Folgenden eingehen möchte. Wie der Titel schon sagt, gibt es vorher eine Reihe allgemeiner Anforderungen, die ich hier aber explizit außen vor lasse, um nicht den Rahmen zu sprengen. Hier folgt nun Absatz für Absatz eine subjektive Auseinandersetzung mit dem genannten Paragraphen:

1. E-Books müssen die synchronisierte Bereitstellung von Text- und Audioinhalten gewährleisten, sofern sie neben Text- auch Audioinhalte enthalten.

Der erste Punkt gilt nur, wenn im E-Book neben Text auch Audioinhalte enthalten sind. Synchronisierte Bereitstellung meint an dieser Stelle die Untertitelung von Inhalten mit Audiospuren, also Audio- und Videodateien. Wenn eine Videodatei keine Audiospur enthält, kann man also darauf verzichten. Da nur sehr wenige E-Books multimediale Inhalte enthalten, sollte diese Forderung für viele Verlage keine Rolle spielen.

2. E-Books müssen gewährleisten, dass die Dateien des E-Books die ordnungsgemäße Funktionsweise assistiver Technologien nicht verhindern

Wann behindert eine Datei eine assistive Technologie? Das kann z.B. der Fall sein, wenn man eine CSS-Datei so anlegt, dass der E-Book-Reader daran gehindert wird, automatisch auf einen höheren Kontrast oder einen größeren Schriftgrad zu schalten. Auch die Einhaltung der logischen Lesereihenfolge ist ein Kriterium. So dürfen die Inhalte nicht nur visuell sichtbar in der logischen Lesereihenfolge sein, sondern der Text muss auch in der HTML-Datei dieser Forderung Genüge tun. Aber auch fehlende oder falsche Angaben der Dokumentsprache können synthetische Vorleseassistenten behindern. Vermutlich ist man auf der sicheren Seite, wenn man Standards für die Untertitelung verwendet, wie etwa die Verwendung des <track>-Elements in HTML.

3. E-Books müssen den Zugang zu Inhalten gewährleisten

Inhalte müssen für assistive Technologien zugänglich sein. Wegen dem leider anhaltend schlechtenden Rendering von Tabellen durch E-Book-Reader, dass selbst visuell ungeingeschränkte Nutzer:innen benachteiligt, hat man früher Tabellen als gerastertes Bild eingebunden. Damit sind Struktur und Inhalt der Tabelle aber unzugänglich für die Vorlesefunktion des E-Book-Readers. Auch mathematische Formeln dürfen nicht als Grafik, sondern müssen als MathML eingebunden werden. Aus meiner Perspektive geht es bei dieser Anforderung darum, alle Technologien zu vermeiden, die nicht durch assistive Technologien in barrierefreier Form dargestellt werden können.

4. E-Books müssen die Navigation im Dateiinhalt und im Layout einschließlich dynamischer Layouts gewährleisten

Hier beginnt es spannend zu werden. Geschenkt, dass man ein, nach den Hierarchieebenen strukturiertes und klickbares, Inhaltsverzeichnis ausliefern muss. Aber bei der Gewährleistung dynamischer Layouts wird es interessant. Das ist beim EPUBs mit reflowable Layouts kein Problem, aber wie lösen wir die Aufgabenstellung bei einem Fixed Layout EPUB oder PDF?

Fixed Layout EPUBs und PDFs teilen eine Eigenschaft, nämlich ein starres, seitenbasiertes Layout. Dennoch können diese Formate für assistive Technolgien zugänglich sein. Bei EPUBs hängt es vor allem davon ab, wie HTML und CSS strukturiert sind. Bei PDF muss in Zukunft auf den barrierefreien Standard PDF/UA umgestellt werden. Nur dieser bietet assistiven Programmen die notwendige Unterstützung. Trotzdem lässt gerade beim PDF-Format die Forderung nach dynamischen Layouts viel Interpretationsspielraum offen und man wünscht sich eine eindeutigere Klärung wie der Begriff zu verstehen ist?

5. E-Books müssen eine Struktur bereitstellen

Diese Anforderung ist so nichtssagend, dass man sie auch einfach hätte weglassen können. Ob die hierarchische Gliederung der Überschriften, die HTML-Struktur oder die Reihenfolge von Bits und Bytes in der E-Book-Datei gemeint ist, wird leider das Geheimnis der Autor:innen bleiben. Es bleibt zu hoffen, dass diese Frage später nicht Gerichte beschäftigt, obwohl es Aufgabe des Ministeriums wäre, hier Rechtssicherheit zu schaffen.

6. E-Books müssen Flexibilität und Wahlfreiheit bei der Darstellung der Inhalte bereitstellen

Was ist unter Flexibilität und Wahlfreiheit zu verstehen? Vielleicht sollte die Betonung darauf gelegt werden, dass es alternative Inhalte für Elemente gibt, die assistiven Technologien unzugänglich sind? Wenn ein Bild also nicht nur dekorativen Charakter hat, dann muss es mit einem entsprechenden alt-Attribut versehen sein, damit ein Screenreader dessen Beschreibung vorlesen kann. Aber auch die Veränderung des Schriftgrades oder das Umschalten in einen Modus mit hohem Kontrast sollte durch das Layout nicht eingeschränkt werden. Etwas präzisere Formulierungen wären im Sinne eines modus vivendi zwischen Publizierenden auf der einen und Lesenden und Hörenden auf der anderen Seite wertvoll gewesen.

7. E-Books müssen alternative Wiedergabearten für den Inhalt in wahrnehmbarer, verständlicher, bedienbarer und robuster Weise ermöglichen

Das Prinzip „Context is King“ wäre auch an dieser Stelle nicht von Nachteil gewesen. Da die Rede von Wiedergabearten ist, würde ich vorsichtig annehmen, dass es sich vor allem um abspielbare Inhalte handelt, d.h. Audio- und Videoinhalte. Der Punkt der Wahrnehmbarkeit bezieht sich aus meiner Sicht darauf, dass die Inhalte aufgrund ihrer technische Qualität deutlich sicht- und hörbar sein müssen. Verständlich ist auch recht vage formuliert. Muss ein Alternativtext in fachlicher oder in einfacher Sprache verständlich sein? Die Forderungen der Bedienbarkeit und Robustheit sollten aus meiner Sicht erfüllt sein, wenn man für interaktive Elemente die entsprechende Steuerungselemente entweder via HTML rendert oder bei selbst definierten Buttons diese mit ARIA-Attributen versieht, aber auch bei dieser staatlichen User Story gibt es viele offene Enden.

8. E-Books müssen Interoperabilität des Inhalts mit assistiven Technologien in wahrnehmbarer, verständlicher, bedienbarer und robuster Weise ermöglichen

Hier folgt leider auch wieder so ein Satz, als hätte ein Kaugummi die Tastatur verklebt. Nichtsdestotrotz heißt das entscheidende Stichwort Interoperabilität. Nach meiner Ansicht geht es darum, bestehende und verbreitete Technologien und Standards zu nutzen. Bevor man also eine selbst programmierte Video-Steuerung ins E-Book zimmert, sollte man sich überlegen, ob den Nutzer:innen mit dem HTML controls-Attribut nicht besser gedient ist?

9. E-Books müssen die Auffindbarkeit der Barrierefreiheitsmerkmale durch Bereitstellung von Informationen in Form von Metadaten gewährleistet sein.

Das ist mal eine unerwartet klare Aussage. Es geht darum, dass ein E-Book Metadaten enthalten muss, die Auskunft geben, bis zu welchem Grad es barrierefrei es ist und welche Barrierefreiheits-Features es unterstützt. Diese Metadaten zur Barrierefreiheit finden sich in der Spezifikation der EPUB Accessibility Techniques. Bei PDF/UA müsste man diese Metadaten im XMP-Metadatenblock hinterlegen, allerdings ist mir nicht bekannt, inwiefern dort vergleichbare Accessibility-Metadaten zur Verfügung stehen.

10. E-Books müssen gewährleisten, dass Barrierefreiheitsfunktionen nicht durch technische Maßnahmen zum Schutz von Werken und sonstigen Schutzgegenständen blockiert werden

Es wurde schon in der Vergangenheit lang und breit darüber diskutiert, inwiefern ein Kopierschutz schädlich für die Barrierefreiheit ist. Mir ist zumindest bei unseren Kunden kein Verlag bekannt, der noch auf solche Mechanismen setzt, wenn man mal von harmlosen Methoden wie digitalen Wasserzeichen absieht. In jedem Fall ist das eine berechtigte Forderung, deren Erfüllung man inzwischen stillschweigend voraussetzen kann.

Fazit

Zunächst möchte ich jeder und jedem die Lektüre der Leitfäden zur Barrierefreiheit des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels wärmstens ans Herz legen. Damit lassen sich E-Books erstellen, die in den meisten Fällen einen schrankenlosen Zugang für Leser:innen und Hörer:innen gewährleisten. Wem das noch nicht reicht, der kann sich weiter mit der EPUB Accessibility Specification aufschlauen. Zudem kann man mit dem EPUB-Prüftool ACE des Daisy Konsortiums E-Books prüfen. Für PDF-Formate ist der PDF Accessibility Checker (PAC) das Mittel der Wahl.

Sicher darf man eine Rechtsnorm nicht wie eine technische Spezifikation lesen. Dennoch gibt es in dieser Verordnung leider Schnittmengen zwischen beiden Welten, die mehr Unklarheiten schaffen als beseitigen. Man hätte sich bei der Formulierung professionelle Unterstützung suchen können, zumal die in Aussicht stehenden Bußgelder kleine Verlage eher davon abschrecken, ihre Bücher als E-Book zu veröffentlichen. Aber das Schöne an Gesetzen ist nicht zuletzt, dass sie nicht in Stein gemeißelt sind, einem gesellschaftlichen Wandel unterliegen und diesen Wandel gilt es, zumindest für mein Dafürhalten, zu begrüßen.

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