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Amazons »Enhanced« Typesetting

Amazon überraschte viele Verlage und Self-Publisher:innen vergangene Woche mit der nur wenige Tage vorher angekündigten Umstellung, dass alle gelieferten E‑Books ab 27. Oktober 2020 »Enhanced Typesetting« unterstützen müssen. Schon kurz nach der Ankündigung erreichten mich Anrufe, Tickets und E‑Mails mit den beiden Fragen: unterstützen unsere E‑Books Enhanced Typesetting und was ist das überhaupt?

Enhanced Typesetting beschreibt eine Reihe von Funktionen, die eine bessere Leseerfahrung bieten sollen und zusammen mit dem Kindle Paperwhite 2015 von Amazon eingeführt wurden. Amazon misst dem soviel Wert bei, dass es bereits im Kindle Store anzeigt, ob ein E‑Book Enhanced Typesetting unterstützt:

Anzeige von Enhanced Typesetting im Kindle Store

Zu Enhanced Typesetting zählen zunächst ein paar typografische Verbesserungen. So wird mit steigendem Schriftgrad von Blocksatz auf Flattersatz umgestellt, da sonst im Blocksatz mehr unausgewogene Wortzwischenräume entstehen und Lücken im Textbild erzeugen. Außerdem werden bei höherer Skalierung Initiale verkleinert und nehmen weniger Zeilen ein.

Die Buchstabenabstände werden ebenfalls mit Unterschneidungen optimiert, was sich an bestimmten Kombinationen wie »LY« gut beobachten lässt. Amazon macht hier keine Raketenwissenschaft, sondern liest offenbar nur die Kerning-Informationen aus dem Kindle-Font Bookerly aus, zumindest ergab ein Vergleich zwischen dem Kerning in InDesign und Kindle keine Unterschiede. Was Amazon hier als »beste Typografie« beschreibt, würde Friedrich Forssmann wohl als zivilisatorischen Mindeststandard ansehen.

Vergleich des Kernings in Kindle und InDesign ergab keine Unterschiede

Sofern es der Font unterstützt, werden Ligaturen ohne Rücksicht auf Verluste gesetzt, also auch an Wortfugen und bei Beugungsendungen, wie folgende Abbildung zeigt.

Kindle aktiviert auch Ligaturen an Wortfugen, z.B. unauf-fällig, Hilf-losigkeit.

Zu Enhanced Typesetting zählt Amazon auch die Bildanzeige und -platzierung je nach Bildschirmgröße und -ausrichtung. Die Texthelligkeit wird für stärkere Kontraste in bestimmten Bildschirmmodi wie etwa dem Nachtmodus automatisch erhöht. Zu den typografischen Verbesserungen zählt last but not least die Unterstützung von MathML.

Indem Amazon diese typografischen Verbesserungen automatisch aktiviert, gibt es auch weniger Entscheidungsfreiheit über die Typografie in E‑Books. Es ist sicher nicht nur meine exklusive Meinung, dass falsch gesetzte Ligaturen eher unschön sind. Zudem könnte man alle typografischen Verbesserungen auch mit CSS steuern, wenn der Kindle sie voll unterstützen würde. Im Folgenden sind ein paar typografische Dekorationen und ihre CSS-Entsprechungen gegenübergestellt:

Initiale
p:first-child:first-letter{ initial-letter:3; }
Ligaturen, Unterschneidungen
p{ text-rendering:optimizeLegibility; }
Satzart
@media only screen and (max-width:768px) {
  p{ text-align:left; }
}

Mit Typografie nichts zu tun hat ein weiteres Feature namens PageFlip. Dahinter verbirgt sich die Möglichkeit eine Seite zu markieren und beim Weiterblättern mit einem Klick zu dieser Seite zurückzukehren. Zu PageFlip zählt Amazon auch eine neue Miniaturansicht oder wie Amazon es nennt, »Vogelperspektive« der Buchseiten, die sich für einen Roman recht freudlos ausnimmt, aber für ein Kochbuch als nützlich erweisen kann.

Miniaturansicht der Seiten mit Kindle Page Flip

Damit haben wir die Frage beantwortet, was sich hinter Enhanced Typesetting verbirgt, nun soll es darum gehen, welche Anforderungen dafür erfüllt werden müssen. Hier geht natürlich der erste Blick in Amazons Kindle Publishing Guidelines (Stand dieses Beitrags: Version 2019.2). Darin findet sich ein Anhang, der nochmal herausarbeitet, wie segensreich Enhanced Typesetting für die Leser:innen ist.

Förderlicher ist die Kindle Previewer App, welche ein EPUB nach MOBI konvertiert und mit einem grünen Häkchen oder Fehlerprotokoll angibt, ob es sich enhancen lässt. Zusätzlich zu den Kategorien Fehler und Warnung gibt es dort nun auch für Enhanced Typesetting die Kategorien ET-Fehler und ET-Warnung.

Das andere Amazon-Tool KindleGen wird leider nicht mehr zum Download angeboten bzw. man muss es umständlich aus dem Previewer-Programmverzeichnis herauskopieren. Damit lassen sich mehrere E‑Books als Batch über die Kommandozeile konvertieren und prüfen. Amazon weist aber auch auf dieser Seite darauf hin, dass Verlage in Zukunft besser nicht mehr MOBI sondern EPUB liefern sollen:

We recommend using EPUB format for publishing new reflowable titles and updating previously published titles. MOBI should only be used when testing on older devices that do not support Enhanced Typesetting.

Kurz gefasst, man konvertiert das MOBI jetzt nur noch zur Qualitätskontrolle und liefert stattdessen das EPUB. Ob das auch eine generelle Abkehr von MOBI auf dem Kindle einläutet, würde ich eher anzweifeln, da es nur dort läuft und damit einen guten Hebel darstellt, die Nutzer:innen im Kindle-Ökosystem zu behalten. Immerhin darf aber nun dieses Gerücht als bestätigt gelten:

Wichtiger als die olle Selbstreferenz ist aber ein Blick auf die unterstützten Sprachen (Abschnitt 16.5): So werden sich Besucher:innen des Kurses Business-Nordfriesisch freuen, dass ihre lingua franca dort aufgeführt ist. Dafür fehlen viele osteuropäische, afrikanische und asiatische Sprachen wie z.B. Polnisch, Koreanisch oder Japanisch. Daher erscheint Amazons Ankündigung etwas abenteuerlich, nur noch E‑Books anzunehmen, die Enhanced Typesetting unterstützen.

In einem Test zeigte sich immerhin, dass griechische und hebräische Zeichen korrekt dargestellt wurden und keine Fehler vom Kindle Previewer gemeldet wurden. Vielleicht betrifft die Sprachunterstützung »nur« die Silbentrennung? Amazon weiß zwar sehr genau, wo, wie und was ich letzten Sommer gekauft habe, bei den Kindle Guidelines lässt es diese Liebe zum Detail leider vermissen.

In Abschnitt 17, S. 85 listet Amazon auch eine Liste unterstützter HTML-Elemente, -Attribute und CSS-Eigenschaften auf. Darunter findet sich dann etwa das HTML5-Element <figure/> allerdings fehlt das Element <figcaption/>. Warum man bei einer Abbildung nicht deren Bildunterschrift auszeichnen kann, bleibt dann wohl auch Amazons süßes Geheimnis. <audio/> und <video/> werden leider auch nicht unterstützt. Ein Test mit einem nach Kindle-Vorgaben eingebetteten Video brachte dann diese nicht besonders aussagekräftige Fehlermeldung:

ET-Fehler, Die Konvertierung von Kindle ist auf einen internen Fehler gestoßen, während die Option »Verbesserter Schriftsatz« für dieses Buch aktiviert wurde. (…) Wir empfehlen vorerst, dieses Buch ohne aktivierten verbesserten Schriftsatz hochzuladen (…)

Die Empfehlung, das E‑Book ohne aktivierten verbesserten Schriftsatz hochzuladen, erscheint zumindest im Lichte der jüngsten Amazon-Ankündigung nicht besonders konsistent. So steht man beim Kindle vor der etwas sonderbaren Entscheidung zwischen einem Enhanced E‑Book oder einem E‑Book mit Enhanced Typesetting.

Andere nicht unterstützte HTML-Elemente und CSS-Eigenschaften werden vom Kindle Previewer zumindest in meinen Tests nicht als Fehler, sondern nur als Warnung ausgegeben und hatten keine Auswirkungen auf den Enhanced-Typesetting-Status im Kindle Previewer.

SVG-Grafiken erwiesen sich hingegen leider als Showstopper. Die Amazon-Guidelines geben sich da gewohnt indifferent (Abschnitt 10.4.11, S. 38):

Enhanced Typesetting currently has minimal support for Scalable Vector Graphics (SVG).

Dann werden ein paar SVG-Elemente aufgeführt, die entweder funktionieren, nur unter bestimmten Bedingungen funktionieren oder nicht funktionieren. Die technischen Details möchte ich den Leser:innen gerne ersparen, nicht zuletzt weil sie es recht unwahrscheinlich machen, dass ein SVG angezeigt wird und es später noch heißt, ein E‑Book mit mehr als 25 SVG-Grafiken sei nicht für Enhanced Typesetting geeignet – frei von mir nach dem Bill Gates zugeschriebenen Zitat: »25 SVGs sollten eigentlich genug für jeden sein«.

Abschließend lässt sich festhalten, dass Enhanced Typesetting wie oben gezeigt nicht unbedingt zur Verbesserung der typografischen Qualität führt. Verlage und Selfpublisher:innen wären besser bedient, wenn Amazon diese typografischen Entscheidungen wieder zurück in ihre Hände legen würde. Amazons Ankündigung, nur noch E‑Books mit Enhanced Typesetting zuzulassen, dürfte für viele zunächst kein großes Problem darstellen, da nur wenige E‑Books SVG-Grafiken, Video und Audio enthalten. Es erscheint aber auch nicht plausibel, dass Amazon diese E‑Books nicht in seinem Sortiment haben möchte oder sich mit dem nordfriesischen E‑Book-Markt begnügen wird.

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